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Dorfgespräch

Dorfgespräch mit dem Nashornkünstler

Seit Ende November letzten Jahres ziert den Kiosk am Marienplatz das weiße Nashorn, das dem anfänglichen ausschließlich blau-roten Farbfleck den gewissen künstlerischen Charme des Olydorfes verleiht. Dem Dorfbladl ist es gelungen, Kontakt zu dem unbekannten Nashornkünstler aufzunehmen und schriftlich zu erfragen, was es mit der Kunst im Dorf auf sich hat.

Hast du etwas mit dem anfangs nur blau-roten Farbfleck am Hut, den die Verwaltung zunächst kostenpflichtig entfernen lassen wollte?
Nein, gar nicht. Ich habe weder eine Ahnung wer das gewesen sein könnte, noch wieso sich jemand dazu berufen fühlte, den Kiosk auf diese Art und Weise zu verzieren. Ich bin nur eines Tages am Kiosk vorbeigegangen und habe gesehen, dass er da ist.

Was war dein erster Gedanke als dir der Farbfleck aufgefallen ist?
„Oh je, das gibt Ärger vom Studentenwerk.“

Wie kamst du dazu, den Farbfleck mit einem weißen Nashorn zu übermalen?
Ich betrachtete eine Zeit lang den Farbfleck und überlegte mir, wie man das drohende Unheil durch das Studentenwerk wohl abwenden könnte. Schließlich dachte ich, man könnte das ganze als eine Art Rohrschach-Test betrachten: was sehen Individuen alles so Unterschiedliches in diesem Farbfleck? Da kam gerade einer meiner Nachbarn vorbei, den ich auch sofort fragte – er sah darin ein Nashorn. Das habe ich dann sofort aufgegriffen.

Welche anderen Motive hattest du im Kopf als du den Farbfleck zuerst gesehen hattest?
Mein persönlicher Rohrschach-Test ergab zuerst tatsächlich einen Oktopus mit ganz vielen Tentakeln. Eine Freundin sah Cthulhu, ein relativ böses mythisches Wesen. Die Nashorn-Version erschien mir für den Kiosk und einen öffentlich häufig besuchten Platz dann doch am schönsten.

Haben die Farben weiß, rot und blau eine besondere Bedeutung für dich?
Mir ist bis zu dieser Frage nicht einmal aufgefallen dass die Farben ja tatsächlich perfekt mit dem französischen Text daneben zusammenpassen, da sie ja gleichzeitig die Farben der französischen Fahne sind! Was für ein lustiger Zufall.

Eigentlich haben die Farben aber keinerlei Bedeutung. Zu den roten und blauen Farbflecken fand ich Nashornkonturen in weiß einfach ästhetisch ansprechend.

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Kannst du den französischen Text, der neben dem Nashorn steht, übersetzen und erklären, was du damit aussagen möchtest?
Die zitierten Sätze stammen aus dem absurden Theaterstück „Rhinocéros“ von Eugène Ionesco. Darin geht es darum, dass sich alle Bewohner einer Stadt langsam in Nashörner verwandeln, nur einer widersteht und bleibt Mensch.

Das Ganze ist als eindeutiger Hinweis auf den Widerstand im zweiten Weltkrieg zu verstehen – selbst wenn sich alle mitläuferisch wie Nashörner den Nazis anschließen, wird es immer Menschen geben, die ihre Menschlichkeit nicht verlieren, gegen den Strom schwimmen und gegen den Nationalsozialismus ankämpfen, selbst wenn sie zum Schluss die einzigen sind, die übrig bleiben.

Schon auf der ersten Seite des Stückes findet man den französischen Text, der jetzt auch an der Kioskwand steht. Als das erste Nashorn auftaucht und über den Stadtplatz marschiert, schreit jemand: „Ein Nashorn in Freiheit, mitten in der Stadt! Überrascht Sie das nicht? Man dürfte das nicht erlauben!“

Im Kontext des grauen Olympiadorfes steht dieses Zitat natürlich auch dafür, dass viel zu viele Wandbemalungen, die ja nur gut gemeint sind, als verboten gelten, weil die falschen Flächen dafür bemalt wurden (Blumenkübel, Fahrradkeller, die Betonstopper am Ende der Gassen parkwärts oder eben auch die Kioskwand zählen zu den Bauwerken, die laut Ansicht wohl vor allem der Architekten permanent grau bleiben sollten).

Dass jetzt ausgerechnet die Wand bemalt wurde, die man nicht bemalen darf, hinter der aber die Farbausleihe stattfindet (und das dazu dann mit einem Zitat das „Man dürfte das nicht erlauben!“ besagt) hat natürlich eine gewisse Ironie, die aber nicht böse gegenüber dem Studentenwerk gemeint ist.

Im breiteren Kontext des Olympiadorfes kann diese Zeichnung nämlich auch als unser persönliches studentisches Mahnmal an das Attentat von 1972 gelten: täglich werden so die Studenten in der Mitte des Dorfes daran erinnert, was neben den ganzen akademischen Verpflichtungen wirklich wichtig ist im Leben: seine Menschlichkeit nicht verlieren – und eben nicht zum Nashorn zu werden.

Empfindest du das Olydorf allgemein für zu eintönig, dass du dich entschlossen hast, die anfängliche blau-rote Farbbeschmierung am Kiosk für dein Nashorn zu verwenden?
Ich finde schon, dass das Olydorf bunter sein könnte – dafür, dass Bungalows schon seit Ende 2009 bemalt werden dürfen. Dass ich aber die Farbkleckse als Grundlage für mein Nashorn genommen habe, hat damit nichts zu tun – wenn es mir nur darum gegangen wäre, das Olydorf bunter zu machen, hätte ich die Kleckse ja nicht modifizieren müssen; bunt war es einfach so ja auch schon. Bunt UND schön ist aber der Idealzustand.

Einige der Fahrradkeller sind an der Seite schon grau übermalt – ist dir bekannt, was dort vorgefallen ist, dass jemand eine graue Betonwand noch einmal grau überstreichen musste?
Ich hörte Geschichten ehemaliger Haussprecher dazu – das sind aber nur Geschichten ohne Garantie auf Wahrheitsgehalt, für die andere Seite der Medaille müsste man wahrscheinlich dieselbe Frage an das Studentenwerk stellen.

Die Geschichte die ich dazu kenne ist: bei den Anfängen des neu aufgebauten Olydorfes wurden relativ schnell von den Bewohnern ein paar Fahrradkeller bemalt. Daraufhin machte das Studentenwerk darauf aufmerksam, dass die Fahrradkeller grau bleiben sollten, sie aber die bis zu einem gewissen Stichtag bereits bemalten Fahrradkeller nicht überstreichen werden. Daraufhin sind ein paar Bewohner sofort losgezogen und versuchten, noch möglichst alle Fahrradkeller bis zum Stichtag bunt zu bemalen. Ich weiß nicht, wie die danach aussahen, aber dass unter Zeitdruck und in Heimlichkeit nicht unbedingt die schönsten Werke dabei rausgekommen sind, kann ich mir gut vorstellen. Das Studentenwerk beschloss daraufhin also, all diese Werke wieder grau übermalen zu lassen.

Wenn die dabei herausgekommenen Kunstwerke tatsächlich nicht tragbar waren, verstehe ich, dass das Studentenwerk sie wieder übermalen wollte. Ich persönlich finde aber, es hätte Lösungswege gegeben, weniger restriktiv dagegen vorzugehen: sie zum Beispiel nachträglich einfach von Studenten verschönern zu lassen, wie ich es mit dem rot-blauen Farbklecks am Kiosk gehandhabt hätte. Beide Parteien hätten davon profitiert: die Studenten hätten ein bunteres Dorf bekommen und das Studentenwerk hätte trotzdem repräsentative, schön bemalte Flächen hinzugewonnen – und hätte keine Reinigungskosten bezahlen müssen.

Was hast du empfunden als du mitbekommen hast, dass das Studentenwerk vorhatte, den Farbfleck mitsamt dem Nashorn grau zu überstreichen?
Tatsächlich war ich darauf gefasst, weil ich nicht gedacht hätte, dass das Studentenwerk den Farbfleck dulden wird – auch nicht verschönert. Mein ganzes Ziel war mit dem Nashorn, den Farbfleck zumindest bis zur Überstreichung hübscher zu machen und ihm einen Sinn zu geben.

Dann kamen aber die wundervollen Leute vom (aktuellen bzw. ehemaligen) GRAS-Ausschuss und überzeugten mit viel Engagement das Studentenwerk davon, dass man sich die Reinigungskosten jetzt eigentlich sparen könnte, wo der Farbfleck inzwischen hübsch ausschaut – vielen, vielen Dank spezifisch an Mona und Mike, die sich wirklich sehr für einen Erhalt des Nashorns eingesetzt haben!

Ich finde die Vorstellung großartig, dass sich jetzt vielleicht sogar einige Bewohnergenerationen und auch die ein oder anderen Touristengruppen an einem Nashorn erfreuen können, das doch eigentlich nur einen Farbfleck schöner machen sollte.

Teilst du die Meinung, dass öffentliche Plätze im Olydorf nur über Anmeldung beim Studentenwerk bemalt werden dürfen oder findest du, dass man den Dorfbewohnern die nötige Kreativität überlassen sollte, jegliche Betonwände anzumalen?
Eigentlich fangen ja schon bei der Bezeichnung „öffentliche Plätze“ die Probleme an: Benutzen wir Kiosk und Marienplatz gerade im Sommer nicht eh wie einen Gemeinschaftsraum und sitzen an die Fahrradkeller gelehnt oder auf den Blumentrögen herum und genießen die Sonne – ist das nicht also irgendwie privat?

Und auch andersherum gedacht: gehören die Bungalows, die wir bemalen dürfen, nicht auch irgendwie zu den öffentlichen Plätzen? Ein Leben im Olympiadorf bringt schließlich zwangsläufig mit sich, sich auch an herumziehende Touristengruppen und Schulklassen gewöhnen zu müssen, die auch die Bungalows als definitiv öffentlichen Platz betrachten.

Ich verstehe, dass man in einem normalen Wohngebiet nicht einfach mit einem Farbeimer und einem Pinsel herumlaufen und willkürlich anmalen darf was einem zu grau erscheint. Aber das Olympiadorf ist eben kein normales Wohngebiet; Touristen kommen gerade wegen der bunten Bemalungen und Studenten wollen gerade deswegen hier her ziehen. Da eine Unterscheidung zu versuchen zwischen „öffentlich“ und „privat“ greift einfach im Umfeld Olympiadorf nicht.

Also: wenn man die Bungalows ohne Anmeldung bemalen darf, sollte man das auch mit anderen Plätzen dürfen. Falls etwas tatsächlich missglückt, sieht man doch anhand des Farbkleckses und des Nashorns, dass dann schon die Studenten selber dafür sorgen werden, dass doch etwas Gutes daraus wird. Schließlich sind das diejenigen, die länger damit leben müssen – natürlich ist ihnen dann von allen am meisten daran gelegen, dass es schön und ansprechend ist!

An mehreren Stellen im Dorf sind Elefanten an Wände im Olydorf gesprüht – hast du auch damit etwas zu tun? Gefallen dir die?
Ich habe wirklich gar keine Ahnung, woher die Elefanten kamen. Das war sicherlich eine gut gemeinte Aktion um das Dorf bunter zu machen – nur schade, dass die Farben dann letztendlich etwas verlaufen sind und das Ganze deswegen recht nachlässig aussieht. Eigentlich wäre auch das die perfekte Gelegenheit, einmal mit Farbe ranzugehen und die Konturen ordentlich nachzumalen.

Was sollte man deiner Meinung nach mit den Edding-Beschmierungen an einigen Betonwänden machen, die in keinem Zusammenhang mit dem Dorf stehen und eher Unruhe stiften sollen?
Ich glaube, die Edding-Beschmierungen sind genau das, was passiert, wenn man die Bemalungen im Olympiadorf zu sehr kontrollieren möchte: es kommen Externe ins Dorf, sehen die ganzen noch freien Flächen und zücken den Edding. Das müsste nicht passieren, wenn die Flächen stattdessen ordentlich, über Stunden, manchmal Tage hinweg von bemühten Studenten bemalt werden, die in einem schönen, bunten Dorf leben möchten. Auch hier empfiehlt sich als Gegenmaßnahme: einfach selbst Farbeimer und Pinsel holen und bei vorhandener Inspiration was Schöneres draus machen!

Können wir in Zukunft davon ausgehen, noch weitere Motive von dir im Dorf zu entdecken?
Höchstwahrscheinlich. Das muss nicht bedeuten dass ich mich dem Studentenwerk widersetzen und „verbotene“ Flächen anmalen werde, aber zumindest wenn irgendwo wieder etwas gedankenlos, womöglich von Dorf-Externen, hingeschmiert wurde, ist doch die offensichtlichste, auf der Hand liegende Methode, dagegen anzugehen: nicht wieder grau übermalen, sondern einfach etwas Schönes draus machen.

Was wünschst du dir für die Zukunft des Olydorfes?
In meiner (irrealistischen) Wunschvorstellung sehe ich das Olydorf wieder so wie ganz früher bei Olydorf 1.0: mit Kletterpflanzen, wild gepflanzten Bäumen, viel Grün, Ranken die sich über ganze Bungalowgassen hinweg ziehen. Das wird wohl alleine schon wegen der halbjährlich vom Studentenwerk geschickten Gärtner nicht mehr passieren.

Ich hoffe aber zumindest, dass vielleicht trotzdem der mit der wilden Bepflanzung verbundene Hippie-Geist ein bisschen zurückkommt: gegenseitige Akzeptanz, Toleranz, Offenheit, Aufgeschlossenheit. Seine Nachbarn kennen, ihnen Hilfe anbieten, mit ihnen gemeinsam etwas unternehmen, und wenn sie noch so verschieden von einem selbst sind – und das alles obwohl das Studium so stresst und so viel von einem verlangt. Andere immer noch aufgeschlossen mit offenen Armen empfangen – und damit, durch die Möglichkeiten die einem das Olydorf bietet, eben nicht zum Nashorn werden.