Wie Paul ins Dorf kam und zum Maskottchen des D-Bereichs wurde – inklusive Exklusiv-Bildmaterial von Pauls erstem Tag im Dorf!
Es war der 8. Juni 2013. Das weiß ich noch so genau, weil ich meine letzte Magisterprüfung an dem Tag hatte. Kurz vor Prüfungsanfang, wohl so gegen 10 Uhr, rief mich ein Freund an, mit dem ich gemeinsam eine Zeit lang an der Bar in einer Tanzlokalität an der Sonnenstraße arbeitete – ich freute mich sehr. Wie lieb, dass er mir viel Glück für die letzte Prüfung wünschen wollte!
Ich nahm ab und bekam ungefähr folgendes Gelalle zu hören: „Jo Kerstin … also … wir kommen gerade alle von der Arbeit, haben durchgemacht … dann wollten wir nicht nach Hause, sind zum Flohmarkt an der Olympiahalle gefahren … und da wohnst du doch … bist du Zuhause? Dann besuchen wir dich!“
Relativ entgeistert entgegnete ich, dass ich bis 12 Uhr noch mit meiner letzten Prüfung beschäftigt sei, sie aber gerne derweil vor meinem Bungalow auf mich warten könnten (schaffen sie eh nicht so lang, höhö).
Letzte Prüfung rum, ich heim, und auf einer auffallend hässlichen Picknickdecke mit Wassermelonenmotiv saßen Adrian, Niklas und Romy – ein bisschen angeschlagen schon vom langen Durchmachen, aber trotzdem begeistert über ihre erstklassigen Funde vom Olympia-Flohmarkt, die sie im Vollsuff erstanden hatten: mehrere Biergläser aus Keramik, ein (nicht mehr funktionierender) Furby, eine orange getönte Skibrille, die Melonen-Picknickdecke, ein Holzhobel, das Buch „SEX – Alles was Sie wissen wollen“, einen Laubbläser, den sie aber auf dem Weg zu mir wieder „verloren“ haben (irgendwie war der so schwer). Und, tja, ein kleines Spielzeug-Reitpony. So begeistert über so viel Müll kann man wahrscheinlich nur im betrunkenen Zustand sein – ungefähr dann, wenn man es auch für eine ganz ausgezeichnete Idee hält, Baustellenschilder zu klauen, Hühnchen in Wodka-RedBull zu kochen oder bei der Telekom anzurufen und zu fragen ob sie Hamstersklaven verkaufen.
Da saßen wir also herum, sie versuchten betrunken den Grill anzukriegen (dass sie jedes Mal, wenn der Grill wieder ausging, einen Straf-Shot tranken, half der ganzen Sache recht wenig), und dann kam Flo aus der Q-Gasse um die Ecke. Flo war begeistert: überall Chaos, und manches davon auf einer Wassermelonen-Picknickdecke! Er rannte zurück in seinen Bungalow, holte alles was an Unsinn dazu passen könnte (Wasserbomben, eine Seifenblasen-Pfeife, einen hölzernen Riesenpenis) und nahm enthusiastisch am Geschehen teil. Das Olydorf-Phänomen trat ein: irgendwo sitzen Leute rum, dazu kommen dann noch mehr Leute, dann noch mehr und irgendwann ist alles nur noch Hippie und Heiterkeit.
Es gab dann irgendwann tatsächlich Essen vom Grill, Wasserbombenschlachten, wir banden dem lustigen Spielzeug-Reitpony alles Mögliche um Hals, Stirn und Ohren (die Skibrille zum Beispiel, oder Flos hölzernen Riesenpenis), und Flo wagte den Jungfernritt auf – ihr ahnt es schon – Paul.
Olydorf-Bewohner kamen vorbei, fragten was das für ein Pferd sei, und bald war klar: das ist Paul, er kommt aus Chile, er hat wegen Höhenkrankheit dort Schaden an seinen Augen genommen und muss nun zum Schutz eine Skibrille tragen, und selbstverständlich macht der Holzpenis ein Einhorn aus ihm.
Paul zog bei Flo in die Q-Gasse ein und bekam einen eigenen Facebook-Account. Sein erster Status war ein Dankeschön an Romy, die ihn im Olydorf in die Freiheit ziehen ließ:
Ab sofort war er überall dabei, sei es bei Übernachtungen im Freien, Siegerpartys in der Olydisco oder im „Wohnzimmer“, das im Sommer 2013 am Ende der Q-Gasse aus weggeschmissenen Sofas und Regalen entstand. Einer der Höhepunkte seines Lebens bestand sicherlich daraus, Rebellion gegen das Studentenwerk zu leisten: das „Wohnzimmer“ sollte auf Wunsch des Studentenwerks entfernt werden, und todesmutig protestiere Paul in E-Mail-Form dagegen, betonte dass das Wohnzimmer gegen Ende des Sommers in ein paar Wochen eh wieder abgebaut wird und es keinerlei Notausgänge blockiert. Gezeichnet, Paul D-Lüx. Ein paar Tage später die Antwort: „Sehr geehrter Herr D-Lüx, unter diesen Umständen darf das Wohnzimmer bleiben.“
Irgendwann entdeckten wir auch eine seltsam harte Stelle in seinem Ohr – Überraschung, Paul war gar nicht stumm – man musste nur die Batterie austauschen und er konnte wieder auf Ohrdruck wiehern und galoppieren!
Oftmals wurde er gekidnappt, einmal konnte sein Horn nicht mehr gefunden werden; die Bereichssprecher sorgten dann für ein neues. Es gab ganze Playlists an Paul-themed Songs: Ludacris – „Act A Fool“, Lil‘ Kim – „Magic Stick“, Pony Pony Run Run – „Hey you“, oder auch „Ich und mein Pony“ von den toten Crackhuren im Kofferraum.
Überall, wo schöne Erlebnisse im Olydorf waren, war auch Paul. Er begleitete Generationen an Studenten durch das Studentenleben. Und auch, wenn er nun als verschollen gilt, wird er allein deswegen dem gesamten Dorf für immer in Erinnerung bleiben.