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Anderswo Zeitgeschichte

Waldsterben in Deutschland

Zwischen Rat- und Tatlosigkeit

Lange Trockenperioden, Extremwetterereignisse und Hitzesommer wie zuletzt 2018 und 2019 lassen unsere Bäume gestresst zurück und fördern so ein massives Waldsterben. Woran das liegt und was wir konkret dagegen tun können haben wir mit Christoph Mössinger besprochen.

Das Jahr 2020 beginnt mit Waldbränden bisher ungesehen Ausmaßes in Sibirien und Australien. So verbrennen dort jeweils bis zu 150.000km² Waldfläche. In Brasilien werden von Januar bis Juni 2020 über 1200km² Regenwald gerodet und verbrannt. Doch auch in Deutschland leiden die Bäume. Nach drei anhaltenden Hitzesommern in Folge und einem Trockenheitsrekord im Frühjahr 2020 leiden unsere Wälder stark unter den Auswirkungen.

Laut Mössinger besteht das grundlegende Problem im Wassermangel und der schlechten Verteilung des Regenwassers. Dieses kommt oft in Verbindung mit Starkregenereignissen und kann so vom durchgetrockneten Boden schlechter aufgenommen werden. Ein gesunder Waldboden könnte mit solchen Bedingungen klarkommen, ein geschädigter Waldboden oder versiegelte Flächen in der Stadt leiten das Wasser jedoch einfach ab. So fiel im Frühjahr 2020 nur rund 50% der sonst gemittelten 185l/m², hinzu kommt die mancherorts langanhaltende Dürre. Das Frühjahr 2020 war zudem laut Deutschem Wetterdienst das wärmste Quartal seit 100 Jahren.
Die angespannte Lage äußere sich vor allem durch untypisch viel Totholz auch in jungen Gewächsen. Auch das Absterben vieler ausgewachsener Bäume an ihren Standorten sei sehr ungewöhnlich, so Mössinger. Zweige und Triebe sind ausgetrocknet, manche Blätter sind schon jetzt braun verfärbt.
Sobald ein Baum durch Trockenheit und Hitze gestresst ist, also weniger Wasser als benötigt zur Verfügung hat, kann er nicht mehr ausreichend Harz produzieren. Harz, dass er jedoch vor allem zur Abwehr von Insektenbefall wie dem Borkenkäfer benötigt. Zusätzlich, bedingt durch die immer wärmeren Winter und lange Warmphasen im Jahr, gibt es viele nicht heimische Insektenpopulationen, die sich hier halten können. 2013 wurden erstmals asiatische Laubholzbockkäfer in Deutschland entdeckt, doch auch der amerikanische Nutzholzborkenkäfer sorgt mittlerweile für Probleme.
So kommt es, dass 2018 in Europa eine Fläche von über 3000 km² massiv vom Baumsterben betroffen ist. Allein in Deutschland sind so rund 32,4 Millionen Kubikmeter Holz Stürmen oder Schädlingen zum Opfer gefallen. Auch Waldbrände werden hier zu einem immer größeren Problem. 2018 gab es laut Bundesregierung über 1700 Waldbrände, entsprechend einer Fläche von 3300 Fußballfeldern. Bei solchen Bränden wird das jahrzehntelang gespeicherte CO2 wieder freigesetzt. Für 2020 rechnen Experten mit einer Fläche von 400.000ha, die unwiederbringlich verloren sein wird.

Waldsterben in Deutschland
Abbildung 2: Borkenkäferbefall einer Fichtenplantage (Christoph Hentschel)

Die Fichte wurde nach dem zweiten Weltkrieg bevorzugt in Deutschland angepflanzt. Da sie schnell wächst und ihr Holz optimal im Holzbau verwertet werden kann, machen sie in Deutschland fast 30% der Waldfläche aus. Das Leiden der Fichte steht mittlerweile aber sinnbildlich für die Probleme des gesamten Waldes. Als Flachwurzler war sie besonders vom Jahrhundertsturm Kyrill 2007 betroffen, leiden mittlerweile unter dem massiven Wassermangel und Borkenkäferbefall. Das betrifft nicht nur die deutsche Holzwirtschaft mit ihren Monokulturen. Dort werden kranke Bäume geerntet und aus dem Wald genommen. Dadurch wird aber zur Zeit der Markt mit günstigem Holz überschwemmt und Forstwirte bekommen nur geringe Summen für ihr Holz.
Die Forstwirtschaft kümmert sich aktiv um das Bestehen der Bäume und investiert viel in Forschung. Doch sie bringt auch viele Probleme mit sich. Mit seinen feinen Gängen und Hohlräumen wirkt der Waldboden normalerweise wie ein Schwamm. Äste oder abgestorbene Stämme, die auf dem Boden liegen und dort zersetzt werden, saugen sich mit Wasser voll. So wird mit jedem Kubikmeter Holz, den man mit schweren Rückmaschinen aus dem Wald holt, der Boden weiter verdichtet und der Wald trocknet weiter aus. Wirtschaftswege zerreißen das schützende Kronendach und die Temperaturen darunter steigen weiter an. Monokulturen lassen in Extremfällen ganze Landstriche kahl zurück, wenn sie einer Plage oder Wassermangel zum Opfer fallen.
Doch auch der naturnahe Mischwald und die Stadtbäume leiden vermehrt unter diesen Problemen. Dort muss man nach Meinung Mössingers regelnd eingreifen. Das ist oft einfacher gesagt als getan. „Die Frage ist, was würde natürlicherweise auf diesen Flächen wachsen. Das lässt sich nur über einen langen Zeitraum beobachten und testen […], welche Baumarten den neuen Bedingungen besser klarkommen“. Eine gute Maßnahme sei die breite Streuung an Baumarten, um die Ausfallwahrscheinlichkeit zu reduzieren. Das heißt konkret: Bäume, die extreme Hitze und Trockenperioden überstehen, sowie Bäume, die gut mit kalten Wintern und in der Stadt steigenden Schadstoff- und Salzbelastungen klarkommen. In Deutschland besteht nur die Hälfte der 11,4 Millionen Hektar Wald aus Mischkultur und Laubwald. Einige Förster setzen nun auf Bäume aus Zentralamerika und Südeuropa, wie die Roteiche und Küstentanne, die sich besser an das warme Klima angepasst haben.

Da die Alpen wie ein natürlicher Schutzwall gegen die Verbreitung von Arten aus dem Süden Europas wirken, muss aktiv gepflanzt werden. Doch das Pflanzen neuer Baumsetzlinge unter solch widrigen Bedingungen gestaltet sich äußerst kompliziert. Wassermangel, schlechte Böden und Rehverbiss erschweren den Wuchs junger Bäume. Die Sorge, welche Auswirkung solch ‚invasive Arten‘, sprich Arten, die nicht bei uns heimisch sind, auf die sensiblen und angeschlagenen Ökosysteme hat, spaltet die Förstergemeinschaft. Zum Beispiel verdrängt die eingeführte Robinie die einheimische Flora, da sie sich an geeigneten Orten rasant vermehrt. Trotzdem sind viele der einstigen Neophyten mittlerweile bei uns in die Ökosysteme eingegliedert und Arten wie die Roteiche oder Douglasie nicht mehr aus unseren Wäldern wegzudenken.
Andere überlassen den Wald sich selbst und lassen nur wachsen, was sich selbst aussäht. Naturverjüngung nennt man dieses Prinzip, und so wird natürlich geregelt, welche Bäume sich anpassen und welche nicht. Auch Totholz wird dabei nicht verrückt. Dieses Konzept wird gerade im Berchtesgadener Nationalpark ausprobiert.
Im Stadtgebiet kommt man jedoch um den Eingriff nicht herum. Durch die versiegelten Flächen und solitäre Standorte der Bäume, ist eine selbständige Aussaat nicht möglich. Auch kommen für Stadtbäume noch andere Herausforderungen hinzu. Sie stehen meist nicht in Baumgruppen und können sich so nicht gegenseitig beschatten. Der Boden trocknet so weiter ungeschützt aus. Zudem sind die Temperaturen in der Stadt oft um bis zu 10°C höher als im Wald. Asphaltdecken und Häuserschluchten strahlen die ganze Nacht Wärme ab, der Baum ist der Hitze den ganzen Tag ausgesetzt. Wurzelraum, vor allem entlang Straßen, ist kaum vorhanden. Bäume wurden lange in Gruben mit 1m³ gepflanzt, mittlerweile werden 0,75m³ pro m² Kronenfläche empfohlen. Auch die Negativeinflüsse des hohen Verkehrsaufkommens belasten die Bäume. Vor allem durch Luftschadstoffe wie Stickoxide, steigende Feinstaubbeträge, Streusalzeintrag im Winter und Reifenabrieb. Baumviren, lange Zeit unterschätzt, sind durch die gestiegenen Temperaturen auch auf dem Vormarsch und befallen geschädigte Bäume. Alle diese Einflüsse schädigen direkt die Wurzelbildung, fördern Blattnekrosen und zerstören die für Bäume lebensnotwendigen Mikroorganismen.
Die Vibrationen durch den Verkehr verdichten zusätzlich den Boden und verschlechtern so die Luftdurchlässigkeit sowie die Nährstoff- und Wasserversorgung der Wurzeln.

Waldsterben in Deutschland
Abbildung 5: Stadtbäume im Einsatz (unsplash/john elfes)

Warum Bäume für das Stadtklima so wichtig sind, erklärt Mössinger: „Stadtbäume brauch man für bessere Luft, als Schattenspender und für das Mikroklima“. Während Asphaltflächen sich in der Sonne auf bis zu 60°C erhitzen können, steigt die Temperatur unter dem Blätterdach der Bäume selten über 27°C. Durch die Verdunstung von Wasser über die Baumkrone fungiert ein Baum wie eine natürliche Klimaanlage, mit einer Kühlleistung von bis zu 30kW. Sie prägen zudem das Stadtbild und sorgen für Abwechslung im oft grauen Stadtbild. Um den Bäumen das Überleben in der Stadt so einfach wie möglich zu machen, muss man vor allem auf ein sauberes und nachhaltiges Bodenmanagement achten. Konkret bedeutet das: eine gezielte Standortauswahl für bestimmte Baumarten, eine gute Pflanzgrundlage mit wasserspeicherndem Substrat wie z.B. Pflanzkohle und der Überdachung von Jungbäumen.
Man ist sich schon seit Jahren sicher, dass diese Entwicklung besonders vom Klimawandel vorangetrieben wird. Zahlreiche Studie des Weltklimarates IPCC und anderer Umweltorganisationen fordern das schnelle handeln, um den Wald zu schützen.
Jedoch trägt der Wald und die Aufforstung nicht so viel zur Entschärfung der Klimakrise bei, wie zuerst erwartet. Würden in den nächsten Jahren 50% der Ackerflächen in Wälder und Wiesen umgewandelt, könnte die Temperatur im weltweiten Durchschnitt so nur um 0,25°C gebremst werden. Neu gepflanzte Bäume nehmen nicht so viel CO2 auf wie ein gesunder erwachsener Wald. Und durch die Veränderung der Erdoberfläche, genauer des Reflexionsvermögens Albedo, werden weniger Sonnenstrahlen zurückgeworfen als bei einer vergleichbaren Wüsten- oder Getreidefläche. Deshalb sind nicht alle Flächen geeignet, um sie zu bewalden. Man muss den bestehenden Wald weiter ausbauen und dessen Fortbestand sichern.
Doch warum handelt man erst jetzt? Das Waldsterben und der Klimawandel sind schon seit Jahren bekannte Problemkinder in der Politik. Da beide jedoch durch keine Lobby vertreten werden und auch die Holzwirtschaft weiterhin gut funktioniert und anderweitig zukaufen kann, ist das Thema nie grösser behandelt worden. Doch spätestens seit den ersten massiven Borkenkäferbefällen, den zwei Hitzesommern und dem resultierenden großflächigen Fichtensterben wird das Bewusstsein für die Problematik immer grösser. Jetzt muss man schnell und nachhaltig reagieren und die Gesellschaft weiter dafür sensibilisieren. Zum Beispiel durch Forschungsprojekte, Kooperationen zwischen Schulen und Forsten. So lernen Schüler hautnah, warum ein Wald so wichtig ist. Auch muss besser geplant werden. Um jungen Bäumen ein möglichst langes Leben zu ermöglichen, müssen Standortfragen genauer geklärt werden.
Bundesumweltministerin Julia Klöckner will 200 Millionen Euro jährlich in den Schutz und den Umbau des Waldes stecken. Doch wie soll das Geld verteilt, was soll gefördert werden? Darüber ist man sich noch uneins. Die Forstwirtschaft komplett abzubauen ist jedoch keine Lösung, denn dort wird täglich dafür gearbeitet, das Fortbestehen des Waldes zu sichern. Man muss sie trotzdem neugestalten. Naturnahe Wälder bevorzugen, Mischkulturen anlegen, schwere Rückmaschinen nur in Ausnahmefällen zulassen. Bei der Aufforstung muss genau auf den neuen Standort geachtet werden. Leben die Bäume nur kurz, setzten sie das gespeicherte CO2 schnell wieder frei. So ist es umso wichtiger, dass wir uns um das Überleben der bestehenden Wälder kümmern.

Vincent Unkauf